BUND Regionalverband Neckar-Alb
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Podiumsdiskussion

Wie viel Bio brauchen wir? Und was ist uns der Artenschutz wert?

Am Mittwoch, den 11.12.19, diskutierten wir im Schlatterhaus Tübingen mit unseren Gästen über (Bio-)Landwirtschaft und Artenschutz - sozusagen die Indoor-Ergänzung zur  Kundgebung "Wir haben es satt!"

Zum Einstieg wurde die erste Minute des Erklärvideos gezeigt, welches die aktuelle Situation des Artensterbens (40 % der Arten in BaWü vom Aussterben bedroht durch Verlust von Lebensraum, Pestizideinsatz, Monokulturen...) und des Höfesterbens zusammenfasst. Direkt im Anschluss fragte die Moderatorin Judith Engelke die Podiumsteilnehmer, was ihrer Ansicht nach die wichtigsten Stellschrauben im Kampf gegen das Artensterben sind. Hier wurde direkt deutlich, dass es nicht „die eine“ Lösung gibt; vielmehr gibt es zahlreiche kleine Stellschrauben, an denen wir alle drehen müssen.

Bezüglich der Bedeutung der (biologischen) Landwirtschaft für den Artenschutz erläuterte Gottfried May-Stürmer, dass biologische Landwirtschaft auf der einen Seite natürlich eine hervorragende Voraussetzung für den Artenschutz bieten würde, andererseits bedeute „Bio“  nicht zwingend Artenschutz. Auch in der konventionellen Landwirtschaft gäbe es selbstverständlich zahlreiche Maßnahmen, die zum Artenschutz beitragen könnten, sei es indem der Pestizideinsatz so gering wie möglich gehalten werde oder mit abwechlsungsreichen Fruchtfolgen sowie Blühstreifen, wie Rüdiger Bechtle ergänzte, und: "Auch aus Kostengründen würde kein Landwirt unnötig spritzen".
Michael Schneider gab zu bedenken, dass auch in der biologischen Landwirtschaft die Felder immer größer und die Fruchtfolgen immer eintöniger werden, da der Markt und die Produktpreise internationalisiert seien. Der Marktladen arbeite - selbst wenn es für ihn weniger ökonomisch ist - bevorzugt mit regionalen Biobetrieben zusammen. Deren vergleichweise kleine Schlaggrößen würden einen Beitrag zum Artenschutz leisten können. Dementsprechend vertritt Herr Schneider die Auffassung, dass regionale Ernährung das einzige wirklich Zielführende sei. Daraus ergibt sich eine wichtige, zentrale Herausforderung für den Einzelhandel: Alle Akteure an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam die Agrarpolitik ein Stück weit selbst in die Hand zu nehmen und die wichtigen Fragen zu klären – Was möchten die Verbraucher*innen? Und was können die Erzeuger*innen leisten?
In diesem Zusammenhang wurde auch über die Frage diskutiert, ob der regionale Anbau von Feldfrüchten, die heutzutage vor allem importiert werden, nicht ausgebaut werden müsste. Die Podiumsrunde kam zu dem Schluss, dass vieles auch vor Ort produziert werden könnte, sich der Anbau wegen fehlenden Vermarktungsmöglichkeiten bzw. mangels Nachfrage aber bsiher oft nicht lohne. Hier sei unser aller individuelles Kaufverhalten gefragt!
Neben betriebsstrukturellen Gründen seien die fehlenden Vermarktungsmöglichkeiten auch ein Grund für Landwirt Bechtle, nicht auf Bio umzustellen, da es sich in Anbetracht der Marktsituation schlicht nicht rechnen würde: „Wenn der es Markt fordert, dann produzieren die Landwirte entsprechend“. Biolandgeschäftsführer Eichert widersprach und erwähnte die regionale Erzeuger- & Vermarktungsgenossenschaft ReBio.

Eichert stellte kurz den Bio-Markt in Baden-Württemberg vor, der sich in den letzten Jahren immer weiter vergrößert habe. Nur Hessen besitzt noch einen größeren Anteil an Bio-Anbaufläche. Das Land sei nun zum ersten Mal bereit, richtig Geld für den Artenschutz in die Hand zu nehmen; nun müsse es auch dort landen, wo Umwelt-, Klima- und Tierschutz etwas davon haben. Und auch in der EU-Politik müsse sich etwas ändern, da das Land nur einen begrenzenten Einfluss auf die Agrarpolitik habe.
Beispielsweise in Form von Stärkung der Förderung von Naturschutzmaßnahmen, wie BUND Landwirtschaftsreferent May-Stürmer betonte. Er erläuterte auch kurz den aktuellen Stand des Volksbegehrens Artenschutz, bzw. der Verhandlungen zum Eckpunktepapier der Landesregierung. Aus seiner Sicht seien die Verhandlungen auf einem guten Weg; man habe zwar im Vergleich zum ursprünglichen Gesetzentwurf ein paar Abstriche machen müssen, beispielsweise beim Pestizidverbot in Schutzgebieten, dafür wären aber andere Punkte (Lichtverschmutzung, pestizidfreie Pflege von Gemeindeflächen...), die zuvor aufgrund des Kopplungsverbots außen vor gelassen werden mussten, mit aufgenommen worden.

Bei manchen Themen gingen die Meinungen der Podiumsteilnehmer deutlich auseinander, wie beispielsweise beim notwendigen Bio-Anteil in der Landwirtschaft. Für Schneider sei eine 100 %ige Ökologisierung der Landwirtschaft unabdingbar, während Bechtle die Auffassung vertrat, dass sich die Gesellschaft dies schlicht nicht leisten könne. Eichert erwiderte, dass, wenn die Umweltfolgekosten der Lebensmittelerzeugung in deren Preis mit eingerechnet würden, sich nur noch wohlhabende Leute konventionelle Produkte leisten könnten.

Über die gesamte Diskussion hinweg hat sich durchaus ein Grundkonsens herauskristallisiert, der zeigte, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Artenschutzes und v.a. auch die Bereitschaft, etwas dafür zu tun, bei allen Beteiligten vorhanden ist. Diese Tatsache bietet eine wichtige Grundlage, um mit allen Beteiligten in den Dialog zu treten und gemeinsam für den Artenschutz aktiv zu werden.

Abschließend wurden einige Fragen, die die Zuhörer*innen zuvor auf Zetteln notiert hatten, auf dem Podium diskutiert.

Alle Podiumsteilnehmer hatten sich die vom BUND RV begesteuerten Insektennisthilfen und den NABU-Honig redlich verdient!

 

 Selina Schwarzbach/ Barbara Lupp, Fotos: Swantje Uhde-Sailer

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